Ich bin zum ersten Mal in Vancouver, einer Großstadt mit allem was dazu gehört. Und doch stellt sich unmittelbar Urlaubsstimmung ein sowie das Gefühl, dass man in so einer Stadt bestimmt hervorragend leben könnte. Kein Wunder, dass das im Südwesten der Provinz British Columbia gelegene Vancouver immer unter den lebenswertesten Städten der Welt rangiert.
Es gibt einige Metropolen auf der Welt, die entweder durch die Nähe zum Ozean oder durch atemberaubende Gebirgszüge beeindrucken. Aber nur wenige sind von den Bergen und vom Meer umgeben. Vancouver ist eine dieser Städte, die beides bietet – näher an der Wildnis ist man in kaum einer anderen Großstadt. Oder habt ihr schon mal Orcas vom Balkon oder ein Stachelschwein und Waschbären inmitten der Stadt gesehen?
Vancouver – viel Natur und ein liberaler Multi-Kulti-Mix
Zugegeben: Riesige Einkaufszentren, Fast-Food-Ketten und Stadtplanung vom Reißbrett gibt es in der drittgrößten Stadt Kanadas auch. Aus historischer Sicht ist die Stadt jung, mit einer funktionalen Architektur und vielen Konsummöglichkeiten. Durch Vancouver kann man nicht ziellos spazieren und an jeder Ecke auf kleine architektonische Wunder stoßen. Die Sehenswürdigkeiten einer Sightseeing-Tour sind schnell abgeklappert.
Es ist vielmehr die Naturnähe, die Lage und das Klima, die Vancouver so lebenswert machen. Hier wird es nicht so kalt wie in Toronto, es fällt kein meterhoher Schnee wie in Montreal. Zwar regnet es hier auch oft. Doch das tut dem Charme der Stadt keinen Abbruch. Vancouver ist jung und experimentierfreudig, das Angebot an Kultur-, Freizeit- und kulinarischen Vergnügen riesig.
Und noch etwas ist anders: die Stimmung, die Atmosphäre entspannter, bunter, liberaler. Dies lockt schon lange Menschen aus aller Welt an Kanadas Westküste.
In Vancouver wurde die Umweltorganisation Greenpeace gegründet. Hier haben die kanadischen Befürworter für die (mittlerweile vollzogene) Legalisierung von Marihuana ihr zu Hause. Hier feiern die Menschen mit Stolz und Toleranz alle Varianten von Sexualität – der Höhepunkt ist die jährliche „Pride Parade“, die mehr als eine halbe Millionen Besucher anzieht.
Kitsilano, für mich Vancouvers schönster Stadtteil, war einst Zentrum für Hippies und ist noch heute das Zuhause einer bunten Mischung, die einen aktiven Lebensstil genießt.
Tagsüber arbeiten, abends schnell noch aufs Mountainbike, ins Kajak oder an den Strand. Alles ohne groß planen und die City verlassen zu müssen. Genauso machen es die Vancouverites! Denn ihre Stadt ist vom Meer umgeben und an der schier endlosen Küstenlinie sind tolle Strände, die sogar vom öffentlichen Nahverkehr angesteuert werden.
Vancouver aktiv erkunden
Ich tue es ihnen gleich. Heute an diesem sonnigen Sommertag, wenn die Meeresbrise durch die Straßen zieht und die nahen Berge zwischen den Wolkenkratzern aufblitzen, zeigt sich die kanadische 600.000-Seelen-Stadt am Pazifik von der schönsten Seite.
Ich könnte mich an den Stadtstränden sonnen, in den Straßencafés lümmeln, ziehe jedoch die aktive Variante vor und erkunde die Umgebung mit dem Fahrrad. Mein Hotel im trendigen Stadtteil West End Davie Village, wo auch Vancouvers LGBT-Gemeinschaft ein gemütliches Zuhause gefunden hat, stellt kostenlos Leihräder zur Verfügung.
Es zieht mich wie magisch in die Natur, in Kanadas größten Stadtpark, den Stanley Park, der wie eine riesige, flache Hand in die Gewässer des Burrard Inlet reicht. Ich stoppe hier und da an tollen Stränden und umrunde den Park auf der Seawall Promenade. Das ist jener populärer Uferweg, der rund 9 Kilometer um den Park führt. Von hier hat man fantastische Blicke auf die Skyline von Vancouver, auf die schneebedeckten Coast Mountains und die elegante Lions Gate Bridge, die an der Spitze der Halbinsel über den Meeresarm gen Norden führt.
Stanley Park, ein Stadtpark mit großer Bedeutung
Der Park ist nicht nur eine grüne Oase der Entspannung, auch das Erbe seiner Ahnen hat dort Platz. Er steht nämlich für die Ureinwohner Kanadas, die sogenannten First Nations, für die Einheit von Mensch und Natur. Das betrifft die Bäume, aber auch die Pflanzen und Tiere im Park: die Biber, Kojoten, Adler oder, früher einmal, die Grizzlybären, die hier einst durch die Wälder streiften. Die Tiere sind wichtige Symbole und man findet sie auf indigenen Wappen oder Totempfählen.
So auch am Brockton Point, dem populärsten Ziel im Stanley Park. Neun Totempfähle mit prächtigen, geschnitzten Tiersymbolen wurden dort aufgestellt.
Auf dem empfehlenswerten, geführten Rundgang, den »Spoken Treasures«, können Interessierte mehr darüber erfahren, wie die Ureinwohner den Park sehen, auf dessen Land die First Nations über 3.000 Jahre gelebt haben, bevor die ersten weißen Entdecker auftauchten.
Geschnitzt wurden die Totems aus uralten Riesen-Zedern, die einmal auf der ganzen Halbinsel zu finden waren, bevor viele im 19. Jahrhundert von Holzfällern umgesäbelt wurden. Aus den Zedern schufen die First Nations Kanus, aus ihrer Rinde fertigten sie Körbe, aus dem Sägemehl heilende Salben und Cremes. Gut, dass der Stanley Park samt verbleibenden Zedern heute geschützt ist.
Vancouvers urbane Seite und Shoppingeldorado
Vancouver ist ein Outdoor-Paradies und gehört gleichzeitig zu den Shopping Eldorados der Pazifikküste. Dieser Facette der Stadt kann auch ich nicht widerstehen. Mit den regenbogenbunten Aquabussen bewege ich mich charmant, wenn auch nicht ganz billig, zwischen Granville Island, Downtown und innerhalb des False Creek auf meiner Einkaufstour.
Die Auswahl ist immens. Die populärste Shoppingmeile ist die Robson Street in Downtown, wo alle gängigen Marken, schnuckelige Buchläden, Bars und Cafés locken. Flippiger, individueller und mehr nach meinem Geschmack wird es im Stadtteil Gastown und in der Main Street. Im angesagten Yaletown-Viertel trifft sich die Filmbranche, hier gibt es Szene- und Designer-Läden und In-Klubs.
Anders als in Downtown sind die Straßen in Gastown schmaler, kopfsteingepflastert und von Bäumen gesäumt. Die Water Street zum Beispiel: Hier steht nicht nur die weltweit erste Dampfuhr, ein Besuchermagnet, der jede Viertelstunde mit Gehupe und Gepfeife Trauben von Touristen mit gezückten Kameras anlockt, sondern auch der abgefahrene Schuhladen des örtlichen Designers John Fluevog oder der sehenswerte Concept-Store „Secret Location“.
Das älteste Viertel in Vancouver ist immer noch voller Leben. Es war eine Taverne in Gastown, die Vancouver zu einer wachsenden Stadt machte. In der Nacht erwachen die Straßen Gastowns erneut zum Leben.
Gartenidylle und Drogenhölle: Kontraste inmitten der Stadt
Man muss auch ehrlich sein, Vancouver ist kein perfektes Wolkenschloss auf rosa Zuckerwatte, sondern eine Stadt mit Vor- und Nachteilen. Manchmal liegen Welten ganz dicht beieinander.
Nur eine einzige Straße, die East Hasting Street, trennt Gastown von Chinatown. Ich bin unvorbereitet und schockiert vom öffentlichen Drogenkonsum und Verfall auf dieser Straße und lasse dieses heiße Pflaster mehr im Laufschritt hinter mir.
Durch ein farbenprächtiges Tor, das „Millenium Gate“, gelange ich nach Chinatown. Mehr als 100.000 Chinesen leben in Vancouver, der Großteil von ihnen in Chinatown. Damit bilden sie nach der englischstämmigen Mehrheit die zweitgrößte ethnische Gruppe der Stadt.
Im quirligen, aber etwas schäbigen Chinatown gibt es noch altmodische chinesische Lebensmittelläden, Apotheken und Restaurants. Doch auch hier ist der Zeitgeist eingezogen und es ist längst nicht so charmant wie andernorts.
Ein Ruhepol in dem Gewühle ist „Dr. Sun Yat-Sens Classical Chinese Garden“, der zur Weltausstellung 1986 eröffnet wurde. Der kleine Park mit seinen typischen asiatischen Gebäuden mit Pagodendächern ist der erste traditionelle chinesische Garten, der außerhalb Chinas angelegt wurde.
In Granville blüht das Leben
Seit ein paar Jahren auch verstärkt zu den Nachtstunden. Die Stadt hat für die Aufwertung des Viertels mit seinem künstlerischen Lagerhausflair etliche Anstrengungen unternommen wie die Schaffung von Sonderregelungen zu längeren Ladenöffnungszeiten. Das kommt mir zu Gute. Ich will noch auf den Granville Island Public Market. Hier gibt es mehr als 120 Läden, die das wohl beste Gemüse und Fleisch aus der Region anbieten. Seafood der Extraklasse, Spezialitäten und eine Menge an Diabetes förderndem Süßkram.
Einheimische schätzen Granville für seine außergewöhnliche Vielfalt an Einkaufsmöglichkeiten. Hier wird fündig, wer nach individuell gestalteter Inuit Kunst sucht oder Unikaten der lokalen Künstler- und Handwerksszene.
Raus in die Natur Vancouvers
Von Granville aus kann man den Kommerz der Stadt aber auch hinter sich lassen. Entweder man paddelt selbst im Kanu oder wendet sich an die sympathischen Jungs von Granville Island Boat Rentals. Sie verleihen Motorboote, die man ohne Führerschein fahren darf. Es bieten sich Spritztouren zu Bowen Island und einer großen Seehund Kolonie an oder man folgt dem False Creek nach Nord-Osten zu den Granite Wasserfällen.
Generell kann man den Ruf der Wildnis von Vancouver aus jederzeit nachkommen. Bis in die Berge ist es mit dem Auto nur eine halbe Stunde zum Cypress Mountain, Grouse Mountain oder Mount Seymour.
Das Skigebiet Whistler, ehemals Schauplatz der Olympischen Winterspiele, liegt nur 125 km entfernt. Noch näher liegt Squamish, mein favorisierter „Outdoor-Abenteuerspielplatz“ mit einladenden Badeseen, Wasserfällen und spektakulären Wandertrails. Bereits die reizvolle Anfahrt auf dem Sea-to-Sky-Highway lässt erahnen, welche Naturwunder uns rund um Vancouver erwarten.
Weitere Tipps und Sehenswürdigkeiten zum Entdecken:
- Vancouvers North Shore nicht vergessen! Noch ein Geheimnis ist der Shipyards Nightmarket am Hafen, wo dich der Seabus von Downtown aus hinbringt. Der Sonnenuntergang am Pier ist wunderschön.
- Vom North Shore ist es nicht weit bis zur Capilano Suspension Bridge. Eine spektakuläre Hängebrücke. Die kostenlose nicht weniger attraktive Alternative ist der Lynn Canyon. Doch auch hier gilt: Das Wochenende besser meiden.
- Coole Atmosphäre und leckere Cocktails gibt es im The Diamonds
- Tacofino: Was mit einem FoodTruck begann, ist zu einer Gruppe mit zehn Restaurants und Trucks angewachsen.
- Vancouver Lookout at Harbour Centre: Wie eine fliegende Untertasse thront der 1977 eingeweihte Lookout auf einem Büroturm. Oben genießt man eine 360-Grad-Aussicht auf die Stadt, den Pazifik und die Berge.
- Das lichtdurchflutete Café Nelson the Seagull mit der offenen Backstube gehört zu den beliebtesten Frühstückslokalen der Stadt.
- Im minimalistisch eingerichteten Pidgin mit dem schönen Streetart Mural wird fernöstliches gekonnt zubereitet
- Das neue Chinatown lässt sich in THE KEEFER BAR sowie in den Restaurants BAO BEI und KISSA TANTO spüren und schmecken.